Wolfsburg Unlimited - Eine Stadt als Weltlabor: 24.04.2016 - 11.09.2016 Kunstmuseum Wolfsburg
Da standen wir vor dem architektonischen Plänen eine Wasserstraße durch die Wolfsburger Innenstadt zu fräsen. Wasser gegen Beton und Granit. Ich mag die Idee. Es gehört zur Grundaufgabe im ersten Semester an der Kunstakademie Nürnberg aus dem Plärrer, die Drehscheibe des öffentlichen Nahverkehrs, in etwas annehmbares zu verwandeln. Etwas das weniger nach grauen Leben aussieht und mehr nach dem wie sich Nürnberg anfühlt wenn man durch die Altstadt spaziert, die sich nur wenige Meter weit weg befindet. Eine Idee war es den Platz einfach zu fluten. Etwas mehr Venedig und weniger graue Wüste. Den da wo Wasser ist, kann etwas nicht völlig entstellt sein. Jahre später stehen wir vor dem Plan des Kunstmuseums das gleiche mit der kompletten Innenstadt zu tun. Straßen aus Wasser. Auf den Darstellungen spielen Kinder am Ufer. Sie scheinen in einer schöneren Stadt groß zu werden als ich es damals tat. Auch wenn alles nur eine Illusion ist. Vor meiner Geburt bestand die komplette Fußgängerzone aus befahrbaren Straßen. Was ein Paradox. Die Menschen an den Rand geschoben und das Auto im Mittelpunkt. Die Prioritäten dieser Stadt klar verteilt. Ich kenne Wolfsburg nicht anders. Nur das seit meiner Geburt die Fußgängerzone exklusiv begehbar war. Eine kleine Metamorphose, erst Auto, dann Mensch und nun Wasser. Am schönsten wenn dieses Element uns den Platz raubt. Ein Hauch Venedig, in nur nicht so schön. Aber ein Versuch wert.
Dieser Plan zur Umgestaltung ist Teil der Ausstellung Wolfsburg Unlimited. Wir Wolfsburger wenden viel Zeit auf uns von diesem Ort zu distanzieren. Sie zu leugnen und ihre Bedeutung für uns, von uns, auf ein Minimum zu mindern. Es ist die Stadt in der ich geboren und aufgewachsen bin. Zwischendurch war ich weg und bin nun wieder zurück.
Wolfsburg sehnt sich nach Identifikation, weit weg der Selbstverleugnung. Als wir vor einigen Monaten in Paris waren, sprach uns ein in Frankfurt lebender Amerikaner an und fragte woher wir kommen. Als wir Wolfsburg erwähnten sagte er: “Sehr häßliche Stadt, aber gute Kunst”. Es spricht nichts dagegen eine Arbeitermetropole zu sein und Kunst ist immer ein guter Weg aus der Identifikationskrise. Ich ziehe oft den Vergleich mit Manchester. Ja, weit hergeholt, aber aus dieser grauen Stadt sind die vielleicht besten und einflußreichsten Bands hervorgegangen. Und das mit Musik die komplett diese Farben der Stadt in ihrem Sound vor sich her trugen. Was mich am meisten an der Volkswagen Krise bewegt ist die Beflecktheit auf unseren einzigen Identifikationsstifter. Stirbt der Konzern, stirbt Wolfsburg mit ihm und ihrem letzten Hauch Bedeutung. Nicht das uns der jemals zugesprochen wurde. Trotzdem blieb uns etwas auf das wir ein Stolz ähnliches Gefühl abbilden konnten. Oder es uns zumindestens einbilden konnten.
Vielleicht ist diese Ausstellung genau zur richtigen Zeit. Ein letzter Ankerwurf in dieser schwierigen Zeit. Ich hatte mir nie Gedanken über Heimat gemacht. Es gab nur irgendwo Wolfsburg und ich zog nie große Vergleiche zu der handvoll anderer Städte die ich kannte. Dann kam ich an meinen Ausbildungsplatz und auf einmal musste ich mich täglich für den Ort rechtfertigen an dem ich geboren bin. Wolfsburg erzeugt bestimmt nicht diese romantischen Fantasien wie Berlin oder Paris. Wir leben hier nur.
Im ersten Raum der Ausstellung wurden alte archäologische Artefakte aus dem Stadtgebiet aufgebahrt. Überreste eines alten Kanus aus dem städtischen Badesee und alte Gemälde aus der namensgebenden Burg. Der See ist Teil eines streng durchgeplanten Naherholgungsgebietes im Norden der Stadt. Eine Fläche die den Arbeitern Ablenkung schenken soll von den, im Akkord vorbei rauschenden, Autoteilen am Band in der Fabrik. Hier steht auch die Volkswagen Arena. Seit dem wir in der ersten Bundesliga spielen bieten wir noch eine, zum Wochenende potenzierende, Angriffsfläche für den Spott der Anderen. Keine Tradition und keine Fans. Genau das sind wir. Vielleicht schon einmal was von uns gehört. Schrödingers Fans. Gerne könnte ich darauf verzichten. Im nächsten Raum treffen wir auf den Erdenker dieser Stadt: Adolf Hitler. Er gründete die Stadt des KdF-Wagens. Ein großer Brocken mit dem man leben muss. Anscheinend suchen wir uns gerne Städte aus in denen das 3. Reich eine große Rolle gespielt hat. Unterbewusst. Unser geliebtes Nürnberg und nun Wolfsburg. Vorbei zogen wir an Fotos der hakenkreuzbeflakten Grundsteinlegung und Hitlers erster Käfer-Skizze. Danach, chronologisch angeordnet, Wirtschaftswunder, die deutsche Grundspießigkeit und der Beginn meiner eigenen Zeitrechnung. Meine zwei Bewerbungen, gescheitert, und das letzte 3/4 Jahr voller Schuld und Ungewissheiten. Überall in der Stadt in Herzen eingefasste Volkswagen Logos, Je suis Volkswagen, Segnungen für VW in den gläubigen Gemeinden. Uns ist klar, die Wurzeln dieser Stadt sind die nationalen und internationalen Autokäufer. Meine eigenen Wurzeln liegen in den Generationen von Arbeitern meiner Familie drüben auf der anderen Seite des Mittellandkanals.
Die Stadt versucht viel um das Andenken an diese Zeit zu bewahren. Auch wenn wir es nicht so mit Tradition haben, trotzdem stehen wir in diesem riesigen Schatten. So groß das man ihm kaum entfliehen kann. Ich habe mal eine Geschichte gehört, dass das “Wolf” im Namen der Stadt dem Spitznamen des Führers entsprungen ist. Aus dieser Geschichte entstammt der Name der Kirchengemeinde “Lammburg”. Immer präsent. Wir schreiten weiter die Wand der VW Geschichte ab und landen an einer Fotografie von Douglas Gordon. Er steht mit einem Schild mit der Aufschrift “Psycho” an Ende der Braunschweiger Straße. Wie ein Anhalter der zu seiner eigenen Ausstellung mitgenommen werden will. Am Ende der U-förmig angeordneten Zeitleiste, im zweiten Raum, ein Ad-Busting Plakat das auf Dieselgate eingeht. Dieses hing zur großen Klimakonfernz in Paris. “Yes we cheated”. Deneben ein Monitor der den Versuch eines nicht gut aussehenden, aufgedunsenen, fiebrig wirkenden Martin Winterkorn zeigt, sich bei der Welt für die Folgen des Kapitalismus zu entschuldigen. Zu diesem Zeitpunkt war schon alles gelaufen. Ertappt. Den meisten Arbeitern war der Wettstreit über die verkauften Autos mit Toyoto relativ egal. Trotzdem überwand man die legalen Mittel um noch mehr zu verkaufen und schuf damit den Abgrund in den ich jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit blicken muss.
Wir verschwanden schnell hinter die nächste Tür zum Hauptwerk der Ausstellung. Wir verliessen die “Hall of Fame” und betraten “Midwest”. Ein amerikanischer Verladeort, aufgefüllt mit Containern, inklusive Bodenbelag, Müll und Schlafplätzen für Obdachlose. Flackernes Industrielicht aus den Straßenlaternen und das Zirpen von Grillen. Betritt man dann das Innere dieser Containerstadt offenbart sich ein Autokino inklusive Snackbar. Gezeigt wird eine filmische Choreografie des Künstlers Julian Rosefeldt. So länger man dort umher wandert verliert man das Empfinden und fühlt sich als sei man durch die Schranktür in ein häßliches Narnia getreten. Man befindet sich nicht mehr im Inneren eines sonst so sauberen Whitecubes. Der feine Museumsboden zum Teil überbetoniert und mit Schotter überseht, so ist es kaum möglich mehr zu erahnen wo man sich gerade befindet. Die Container bilden eine Schlucht und türmen sich bis unters Museumsdach. Hinter der Autokinoleinwand ein falscher Sonnenuntergang. Weit in der Ferne, die Sonne fast nicht mehr sichtbar. Das Kino wirkt durch Spiegel so breit, das man nicht mehr an einen abgeschlossenen Raum denken kann. Selbst der Blick von der Empore macht die Szenerie surreal.
Der nächste Raumabschnitt im Stadtlabor heißt “Gallerie Nordhoff”. Benannt nach dem wichtigen Vorstandsvorsitzenden in den 60er Jahren. In der wichtigsten Zeit Wolfsburgs. Die Zeit die den größten Wohlstand brachte und die Stadtlandschaft prägte mit ihren kleinen, spießigen Ein-Familien Häusern. Platz für 1 1/2 Kindern, Frau und Hund. Er war vielleicht wichtiger als jeder Bürgermeister der Stadt. Am Anfang diesen Ausstellugnsbereich wird ein kurzer Film aus der Zeit gezeigt. Er könnte den Familienalben meiner Großeltern entsprungen sein. Allesamt Arbeiter dieser Stadt. Kinderfotos meines Vaters vor den Hochhausanlagen. Dort liegen die Grundwerte und Familiengeschichten die diese Stadt ausmachen. Etwas an diesen alten Filmaufnahmen holt etwas tief vergrabenes in mir hervor. Eine mit Familie verknüpfte Melancholie. Etwas was mich meine Eltern in die Arme schließen lassen will. Noch mehr als sonst.
Ein Bild finde ich besonders beeindruckend. Heinrich Nordhoff steht erhoben auf einer Empore, nah in die Kamera blickend, hinter sich die versammelte Belegschaft des Wolfsburger Werkes. Aufgereiht, die gesammte Straße entlang.
In den nächsten Räumen beginnt die zeitgenössische Auseinandersetzung mit Wolfsburg. Ich überfliege viele Arbeiten. Ich schnappe einige Bilder und Textfetzen auf. Letzten Sommer, kurz nachdem ich wieder nach Wolfsburg gezogen bin, begann der Abgassskandal. Zu meinen allgemeinen Zweifeln kam auch noch dieses über dem Kopf hängende Schwert mit der Aufschrift “Dieselgate”. Meine Dunkelkammer noch nicht aufgebaut, wollte ich meine ersten Bilder in der Innenstadt machen. Ich tue mir mit so einer Aufgabe schwer, aber es sollte eine Auseinandersetzung mit meinem gestörten Verhältnis mit meiner Heimat sein. In den Arbeiten der hier ausgestellten Künstlern fehlt mir der Bezug. Dies liegt vielleicht daran, das der Museumsleiter Wolfsburg eher als eine Extraktion des gesamten Landes sieht. Alles konnte ich an diesem Mittag nicht verarbeiten. Es sind zu viele Eindrücke die mich beschäftigen. Eindrücke die alle Stufen einer Emotionstabelle abdecken könnten. Oft gehe ich in Ausstellungen und bin danach über alle Ohren inspiriert oder auch bewegt. Diese Ausstellung mit ihrer Auflistung der Facetten und Geschichten der Stadt trifft mich ins Herz. Und das ziemlich hart und unvorbereitet. Und am Ende weiß ich immer noch nicht wie es in dieser Stadt weitergehen soll.